Ukraine – Interview mit dem ukrainischen Wissenschaftler Andrij Schkrabyuk: „Historisch gesehen gab es die ukrainische Unabhängigkeit bereits zur Zeit der Kosaken, d.h. in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Verschiedene Elemente dieses ukrainischen Hetmanats funktionierten bis 1783. Darüber hinaus gab es in der Ukraine eine Kultur, die sich von der russischen Kultur unterschied und stärker von europäischen Bräuchen inspiriert war, z.B. vom Magdeburger Recht, mit Elementen der Gewaltenteilung.“
Andrij Schkrabyuk ist ein Akademiker aus Lviv, der sich auf griechisch-katholische und orthodoxe Liturgien sowie auf liturgische Musik spezialisiert hat.
Olivier Bault telefonierte mit ihm am Montagabend, dem 28. Februar, dem fünften Tag der russischen Offensive gegen die Ukraine.
Olivier Bault: Wie ist die Lage derzeit in Lemberg (Lwiw)?
Andrij Schkrabyuk: Sogar in meinem Haus beherbergen wir derzeit eine Familie aus Charkiw mit drei Kindern. Es gibt überall Flüchtlinge. Meine Frau und ich fragen uns selbst, ob wir unsere Kinder nicht nach Polen zu polnischen Freunden schicken sollen. Vor einem Moment ertönten die Luftschutzsirenen. So geht das die ganze Zeit. Allgemein gesprochen, wenn wir die Situation mit anderen Städten in der Ukraine vergleichen, ist sie natürlich besser, ruhiger, aber es gibt viele Spannungen. Es gibt ein Problem mit der Versorgung mit Lebensmitteln, da die Menschen alles gekauft haben, was sie kriegen konnten, und die Lieferungen behindert werden. Die Lage ist noch nicht katastrophal, aber es treten Probleme auf.
Olivier Bault: Gab es Explosionen oder sind das nur Luftschutzalarme?
Andrij Schkrabyuk: Es sind nur Alarme, aber wir erwischen auch Ablenkungsgruppen, Personen, die, obwohl es nur wenige sind, Zielsignale an Gebäuden anbringen, um den bevorstehenden Beschuss zu erleichtern. Die Gefahr von Bombardements ist da und wir wissen nicht, wie das enden wird.
Olivier Bault: Aber es gab noch keine Luftangriffe oder Raketenangriffe auf Lemberg, oder?
Andrij Schkrabyuk: In der Oblast (Regierungsbezirk) gab es solche Angriffe auf verschiedene militärische Einrichtungen. Auf die Stadt selbst noch nicht, nein, aber wir wissen nicht, was noch passieren wird.