Polen – Interview mit Prof. Wojciech Roszkowski, Schriftsteller, Historiker, spezialisiert auf die polnische und europäische Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts und ehemaliger Europaabgeordneter der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Wojciech Roszkowski gehört zu den Referenzgrößen unter den konservativen polnischen Intellektuellen. In einem seiner neuesten Bücher befasst er sich mit den wichtigsten Ereignissen der polnischen Politik der letzten Jahre.
Sébastien Meuwissen: Während der 1990er Jahre und bis Mitte der 2000er Jahre wurde Polen fast ununterbrochen von der postkommunistischen Linken (SLD) regiert. Eine der bekanntesten Figuren aus dieser Zeit ist der ehemalige Präsident Lech Wałęsa. In Westeuropa und in vielen linksliberalen Kreisen ist Wałęsa nach wie vor eine Art heiliges Monster, das man nicht kritisieren darf. Was inspiriert Sie zu dieser historischen Figur?
Wojciech Roszkowski: Man muss in der Tat betonen, dass die Linke nicht ununterbrochen regiert hat. Es gab kleine Ausnahmen, wie zum Beispiel die Regierung Olszewski zwischen Dezember 1991 und Juli 1992 während der Präsidentschaft von Lech Wałęsa. Was Wałęsa heute sagt, ist so kompromittierend, dass es schwer zu verstehen ist, was seine Absichten in der ersten Hälfte der 1990er Jahre waren.
Seine Parolen bezogen sich auf die Beschleunigung der Entkommunisierung des Landes. Er tat jedoch nichts in dieser Richtung. In den fünf Jahren seiner Präsidentschaft zwischen 1990 und 1995 behielt er das postkommunistische System unverändert bei. Es muss auch betont werden, dass er am Ende fast ausschließlich von Mitgliedern des Geheimdienstes umgeben war.
Das Problem, das sich ergibt, ist, wie Wałęsa zu kategorisieren ist. War er ein Post-Kommunist oder ein Anti-Kommunist? Hier haben wir es mit einem großen Missverständnis zu tun. Millionen von Polen glaubten und glauben bis heute, dass Wałęsa ein Anti-Kommunist war, während er in Wirklichkeit ein Post-Kommunist war. Er stand im Zentrum zahlloser dubioser Geschäfte. Er war es, der die Idee vorbrachte, die sowjetischen Stützpunkte auf polnischem Gebiet in russisch-polnische Joint Ventures umzuwandeln. Das sind alles Fakten.