In diesem Jahrhundert begann die eurasische Integration – zu der auch der Aufbau einer strategischen und wirtschaftlichen Allianz zwischen Deutschland, den V4 und Ostasien gehört. Gemessen an der Größe der verschiedenen Blöcke, ihrem Entwicklungsstand, der Struktur ihrer Volkswirtschaften und der Art ihrer bisherigen Beziehungen sind es für die V4-Länder die Verbindungen, die sie mit den kleinen asiatischen Tigern aufbauen können, die die größten strategischen Vorteile versprechen. Hier zeigt sich die Möglichkeit der Bildung von Länderpaaren zwischen Staaten aus beiden Regionen. Im Fall von China und Japan können aufgrund der unterschiedlichen Größe neben politischen Bündnissen zwischen Staaten auch strategische Netzwerke zwischen chinesischen und japanischen Megastädten auf der einen Seite und den Wirtschaftsregionen der V4 auf der anderen Seite aufgebaut werden.
Für Ungarn scheinen von den vier kleinen asiatischen Tigern Südkorea und Singapur die aussichtsreichsten Kandidaten für eine Paarung zu sein. Während Singapur, was das soziale Erfolgsrezept angeht, nachahmenswerte Modelle zu versprechen scheint, hat Südkorea das Zeug dazu, sein strategischer Partner in den Bereichen Technologieinvestitionen, Forschung und Entwicklung sowie kulturelle, akademische und touristische Zusammenarbeit zu werden.
Ein ungarisch-koreanisches eurasisches Länderpaar (Hunkor) würde Südkorea einen geografischen und wirtschaftlichen Zugang zur Europäischen Union bieten, und für Ungarn könnte Südkorea der strategische Verbündete für den Zugang zur Zukunft sein. Für den einen mag es mehr um den Raum, für den anderen mehr um die Zeit gehen, aber es ist das Zusammenspiel beider, das einen gemeinsamen Platz in der Zukunft Eurasiens verspricht.
Was könnten die Grundlagen für ein ungarisch-koreanisches Paar sein?
Zwei Nationen – gleiche Werte
Von allen Nationen der Welt sind sich die koreanische und die ungarische Nation in Bezug auf ihr Wertesystem vielleicht am ähnlichsten. Es basiert auf den Werten des Wettbewerbs, des Kampfes, der Notwendigkeit, sich zu bewähren, die Familie zu erweitern und fortzuführen. Das sind die Werte, die auf allen Ebenen des funktionierenden Lebens und der Gemeinschaft unsere Wünsche, Bedürfnisse, Interessen, Entscheidungen und unser Verhalten bestimmen. Nahe beieinander liegende Wertesysteme ziehen sich gegenseitig an – und das gilt ganz besonders für Faktoren, die zum Erfolg führen, wie Talent, Wissen, Technologie und Kapital.
Zwei Nationen – zwei Flaggen
Die beiden Nationen weisen auch erhebliche Unterschiede auf, die sie jedoch eher dazu veranlassen, sich zu ergänzen und somit zu stärken, als ihre Tugenden gegenseitig zu neutralisieren. Die Flagge Südkoreas bewahrt die Symbole des überlieferten Wissens und erinnert jeden Menschen in jedem Moment daran, dass die Welt ständig in Bewegung ist, im Kampf von Rot (Begeisterung und Leidenschaft) und Blau (Ruhe und Sicherheit), während das Symbol von Yin und Yang an die weiblichen und männlichen Eigenschaften erinnert, in ihrer Gleichheit, ihrem Kampf, aber auch ihrer natürlichen Tendenz zum Gleichgewicht. Diese uralten Symbole (Himmel und Erde, Feuer und Wasser) erinnern jeden Koreaner daran, dass sich die Welt ständig verändert, dass man auf alles vorbereitet sein muss, insbesondere darauf, sich mit dem Wandel zu verändern.
Auch die ungarischen Nationalfarben erinnern jeden Ungarn an den Wert des Kampfes (rot), aber auch an den Wert der Ehrlichkeit (weiß) und der Harmonie, sowohl mit der Natur als auch mit anderen Menschen (grün). Die Chromatik der Flaggen beider Nationen weist eine starke Komplementarität auf, und in der Tat kann ihre strategische Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich auf Enthusiasmus und Kampf, aber auch auf Vertrauen und Harmonie beruhen.
Politische Strategie
Im Hinblick auf den Aufstieg ihrer Nationen und den wirtschaftlichen Erfolg suchen beide Nationen nach einem geopolitischen Gleichgewicht. Südkorea sucht es inmitten des heikelsten Vierecks unserer Zeit: zwischen den USA, China, Japan und Nordkorea. Ungarn wiederum versucht es in der Mitte des Fünfecks, das von den USA, Deutschland (EU), Russland, der Türkei und China gebildet wird. Unsere politischen Strategien sind ähnlich, weil wir beide den Erfolg nicht in der Arena der großen Politik suchen, sondern indem wir uns bemühen, unsere Nation auf ein höheres Niveau zu bringen, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich. Das Wesen dieser politischen Strategie besteht darin, dafür zu sorgen, dass das geopolitische Kräftefeld den Weg in unsere Zukunft nicht versperrt. Heutzutage bedeutet das für jedes der beiden Länder vor allem: sich nicht in die Scharmützel des neuen Kalten Krieges zwischen den USA und China hineinziehen zu lassen. Und für uns vor allem: Nicht in die durch die erneuten Spannungen zwischen den USA und Russland ausgelösten Scharmützel, in die durch den Untergang der EU eröffneten Strudel oder in die erneuten Spannungen im Balkanraum hineingezogen zu werden.
Grundlegendes Ziel der nationalen Strategie ist die Unabhängigkeit
Da jedes der beiden Länder den Status einer Kolonie und die historischen Wechselfälle des Aufgehens in Imperien erlebt hat, strebt jede der beiden Nationen in ihrer Tiefe vor allem nach der Bewahrung von Freiheit, Unabhängigkeit und Autonomie. Beide Länder haben verstanden, dass politische und militärische Instrumente dafür nicht ausreichen, da die wirtschaftliche Kolonialisierung ein Damoklesschwert ist, das über jedem dieser beiden großen geographischen und geopolitischen Räume schwebt. Südkorea hat verstanden, dass es in einer Zeit und in einem Raum lebt, in dem nur diejenigen unabhängig sein können, die sich auch in der Arena der Weltwirtschaft auszeichnen. Ungarn wiederum beginnt zu verstehen, dass es sich in einem Zeitraum bewegt, in dem es nur dann möglich ist, Talente zu halten, Wissen zu vertiefen, Technologien zu erlangen und Kapital zu akkumulieren, wenn es genauso wettbewerbsfähig ist wie seine europäischen Partner – oder sogar besser.
Renaissance des Nationalstaats
So wie die großen geographischen Entdeckungen von 1492 für Europa eine neue 500-jährige Periode einleiteten, so hat der Einbruch der neuen Technologien (Internet) ab 1996 eine neue Periode der Weltgeschichte eingeleitet, die vielleicht mehrere Jahrhunderte dauern wird. Die ersten Jahrzehnte dieses Zeitalters sind besonders fruchtbar, denn sie sind voll von kreativen Innovationen, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Technologie. Es ist die Zeit einer neuen Renaissance (um Norbert Csizmadia zu zitieren), in der jedes der beiden hier untersuchten Länder versucht, sich einen Weg zu bahnen, indem es den Nationalstaat wieder in den Vordergrund rückt.
Jedes der beiden Länder hat den Nationalstaat in den Mittelpunkt der Strategie gestellt, mit der es versucht, den Kampf um die Zukunft zu gewinnen. In diesem Bereich übertrifft der koreanische Erfolg den unseren um eine Größenordnung, wie der Vorsprung zeigt, den Korea uns gegenüber hat, sei es in Bezug auf den Entwicklungsstand, die Lebensqualität, die Lebenserwartung, die Gesundheit, das Niveau des Gesundheitssystems, die Grund-, Sekundar- und Hochschulbildung oder die Verkehrsinfrastruktur. Die gemeinsamen Ergebnisse der sich bildenden eurasischen Paare werden durch den Grad der Verbesserung der Ergebnisse des schwächeren der beiden Partner bestimmt – eine Verbesserung, für die wir eine Fülle von Beispielen finden werden, sei es unter den Erfolgsrezepten, die in Südkorea, Singapur, China oder Japan angewandt werden.
Wachstum auf der Grundlage von Ausgewogenheit
Viele der Quellen des südkoreanischen Erfolgs sind auch für Ungarn zugänglich, aber es gibt auch Bereiche, in denen wir von anderen Lösungen profitieren können. Südkoreas schwindelerregender Aufstieg beruhte auf der Spannung der Gegensätze, die durch die dichotomen Paare auf seiner Flagge symbolisiert wird: Himmel/Erde, Feuer/Wasser oder das Yin/Yang-Symbol, das auf den ständigen Kampf der gegensätzlichen Energien verweist. In Südkorea herrscht ein Gleichgewicht zwischen den Regionen und Territorien – im Gegensatz zu den bedeutenden Unterschieden, die die ungarischen Regionen voneinander trennen –, doch die Spannungen, die sich innerhalb der Gesellschaft angesammelt haben, sind beträchtlich. Die sozialen Unterschiede – zwischen Jung und Alt, Erwerbstätigen und Rentnern, Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten, großen Unternehmen, die auf dem Weltmarkt erfolgreich sind, und lokalen KMU, Studenten an Eliteuniversitäten und anderen Studenten, jungen Menschen aus reichen und weniger reichen Familien sowie Haushalten mit geringer und hoher Verschuldung – sind um eine Größenordnung größer als in Ungarn.
Um bei uns einen nachhaltigen Aufholprozess zu erreichen, wie auch bei ihnen, um eine nachhaltige Entwicklung zu erzielen, muss die Harmonie zwischen Wachstum und Gleichgewicht in jedem einzelnen Parameter der Gleichung „Wachstum auf der Grundlage des Gleichgewichts“ gewahrt werden. Bei ihnen sind die Ungleichgewichte in der Gesellschaft, der Demographie und der Familie am größten – bei uns in den Finanzen, den öffentlichen Dienstleistungen und zwischen den Regionen. Da sich die beiden Länder in dieser Hinsicht sehr gut ergänzen, sind dies ebenfalls Bereiche, auf die unsere Zusammenarbeit gewinnbringend ausgeweitet werden kann.
P.S.
„Der erste Schritt in Richtung Weisheit besteht darin, anzuerkennen, dass auch du nicht alles weißt.“ – Sokrates
György Matolcsy
Präsident der Ungarischen Nationalbank