Katalin Novák: Das Herz Ungarns schlägt jetzt an der ungarisch-ukrainischen Grenze

„Die Flüchtlinge aus dem russisch-ukrainischen Krieg verlangen von uns nur das, was wir ihnen geben können: Sicherheit, gute Aufenthaltsbedingungen, Frieden. Wir Ungarn sind Anhänger des Friedens: Wir wollen uns aus diesem Krieg heraushalten. Und wenn wir den ukrainischen Flüchtlingen helfen, dann nicht, um die Anerkennung der politischen und medialen Klasse – sei sie nun ukrainisch oder international – zu verdienen, sondern weil es uns unser Herz sagt“ – so die kürzlich gewählte Präsidentin Ungarns, Katalin Novák, in einem Interview mit Magyar Nemzet.

TOÓT-HOLLÓ TAMÁS
2022. 04. 03. 14:28
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– Sie haben mehrmals auf beiden Seiten der ukrainischen Grenze an humanitären Hilfsaktionen teilgenommen. Was haben Sie dabei beobachtet? Wie wurde die ungarische Hilfe von den vom Krieg bedrohten Ungarn in Subkarpatien und den ukrainischen Flüchtlingen, die aus dem Landesinneren flohen, aufgenommen?

– In Subkarpatien ist es bereits seit hundert Jahren nicht einfach, Ungar zu sein. Dort sind unsere Leute an ein hartes Leben gewöhnt.

Alles, was sie bisher – größtenteils mit Hilfe des Mutterlandes – aufbauen konnten: all die ungarischen Kindergärten, Schulen, Kirchen und Heime – ein großer Teil davon droht nun aufgrund des Krieges leer zu stehen. Ihr Hilferuf erreichte uns: nicht nur bis zum Komitat Bereg-Szatmár-Szabolcs [Grenzgebiet zu Subkarpatien, auf ungarischer Seite – AdÜ.], sondern bis nach Budapest und in die entferntesten Winkel des Landes. Diese guten Worte, die liebevolle Aufmerksamkeit, die materielle und finanzielle Unterstützung – all das ist nun für ihr Überleben notwendig und sendet ihnen eine Botschaft, die besagt: Ihr könnt euch auf uns verlassen. Die Flüchtlinge spüren genau, dass das Herz Ungarns jetzt an der ukrainischen Grenze schlägt. Sie bitten uns nur um das, was wir ihnen geben können: Sicherheit, gute Aufenthaltsbedingungen, Frieden. Von Záhony bis Fehérgyarmat, von Fényeslitke bis Tarpa traf ich überall auf Menschen, die Hilfe brauchten, und auf Menschen, die entschlossen waren, ihnen zu helfen. Was Beregszász [Berehowe in Subkarpatien – AdÜ.] betrifft, so ging ich dorthin, um daran zu erinnern, dass die Menschen, die dort geblieben sind, für uns genauso wichtig sind wie diejenigen, die gezwungen sind, die Grenze zu überqueren.

Die Ukrainer geben sich nicht mit unserer Solidarität zufrieden.

– Was meinen Sie, warum die ukrainische politische Klasse und die Presse diese Welle der Solidarität, die bei uns das Land wie ein Mann mitgerissen hat, nicht entsprechend ihrer Verdienste würdigen?

– Was die ukrainische Führung von uns erwartet, ist mehr als Solidarität: Es ist eine übermenschliche Hilfe. Was sie wollen, ist, dass ihr Kampf zu unserem Kampf werde. Wir Ungarn sind jedoch für den Frieden: Wir wollen uns aus diesem Krieg heraushalten. Und wenn wir den ukrainischen Flüchtlingen helfen, dann nicht, um die Anerkennung der politischen und medialen Klasse – sei sie nun ukrainisch oder international – zu verdienen, sondern weil es uns unser Herz sagt.

– Inwiefern können die Äußerungen der ukrainischen Regierung – die inzwischen äußerst kritisch gegenüber Deutschland und Ungarn geworden sind – in Bezug auf die internationale Diplomatie eine spaltende Wirkung haben? Gibt es Ihrer Meinung nach auseinandergehende europäische und amerikanische Interessen bei der Bewältigung dieser Kriegssituation? Oder eine Rivalität zwischen lokalen Interessen in Europa?

– Mit Hilfe Ungarns wurde diese russische Aggression von allen NATO- und EU-Mitgliedsstaaten entschieden und einheitlich verurteilt. Die Frage ist nur: Was müssen die Konsequenzen sein? Es gibt nur wenige Länder, die in der Lage sind, vollständig auf die Energie und die Lebensmittel zu verzichten, die Russland exportiert. Und bis jetzt haben wir Ungarn – trotz all unserer Bemühungen, uns selbstständig zu machen – diesen Punkt noch nicht erreicht.

Da eine gute Regierung in erster Linie die Interessen der Menschen berücksichtigt, die in ihrem Land leben, ist es ganz natürlich, dass es lokale Interessen gibt, die miteinander konkurrieren können. Angesichts all dessen müssen wir gemeinsame Entscheidungen treffen, die deutlich machen, dass wir keinen Krieg wollen und dass wir die Aggression eines souveränen Landes für inakzeptabel halten.

Gegen uns wird ein ideologischer Krieg geführt

– Hat die pazifistische Haltung, die darin besteht, Verantwortung für die ungarischen Interessen zu übernehmen und einer unverantwortlichen Embargopolitik kritisch gegenüberzustehen, bereits zu beachtenswerten Ergebnissen geführt? Hätten wir in naher Zukunft Grund, diese bislang konsequent und prinzipientreu vertretene Ungarnpolitik zu revidieren?

– Ich für meinen Teil vertraue auf die klassischen Instrumente der Diplomatie und auf Verhandlungen. Solange wir miteinander reden können, haben wir noch eine Chance, uns zu einigen. Ich möchte daran glauben, dass Friedensverhandlungen früher oder später zu Ergebnissen führen werden. Interessen haben ihren Platz, ebenso wie Werte: Beide müssen verteidigt werden. Sich im Namen von Werten zu engagieren, ohne die eigenen legitimen Interessen zu berücksichtigen, ist unverantwortlich, während es unmoralisch ist, seine Interessen unabhängig von jeglichen Werten zu verteidigen. Gerechter Friede und Sicherheit: Das muss auch weiterhin unser Ziel sein.

– Die Linke neigt dazu, die Bedeutung der Antworten auf die Fragen des gleichzeitig mit den Parlamentswahlen stattfindenden Referendums zum Kinderschutz zu trivialisieren. Was steht für Sie bei diesem Referendum auf dem Spiel?

– Es gibt Gifte, die schnell töten, und andere, die langsam töten. Die Coronavirus-Epidemie oder der Krieg sind Gefahren, die eine elementare, offensichtliche und greifbare Bedrohung darstellen, die aber gleichzeitig dazu neigen, den ideologischen Krieg zu verbergen, den man unterschwellig gegen uns führt und der von Zeit zu Zeit, je nach der einen oder anderen Wiederbelebung, sein wahres Gesicht zeigt – und das Neue ist, dass dieser Krieg nun auf unsere Kinder abzielt. Und dieser Krieg wird in diesem Moment gegen uns geführt.

Kinder sind unser größter Schatz, und ihre Erziehung ist ein unveräußerliches Recht und eine Pflicht der Eltern. Es liegt an ihnen zu entscheiden, wer ihnen bei dieser Erziehung – unter anderem im Bereich der Sexualerziehung – unterstützen darf, welche externe Hilfe sie in Anspruch nehmen wollen und wann sie der Meinung sind, dass die Zeit gekommen ist, dass ihre Kinder mit Fragen der Sexualität konfrontiert werden. Der Staat seinerseits ist dafür verantwortlich, die Bedingungen für eine körperlich und geistig gesunde Entwicklung der Kinder zu gewährleisten. Er muss Eltern, die dies wünschen, dabei unterstützen, ihre Kinder von gefährlicher und giftiger Propaganda fernzuhalten.

Dieses Referendum hat Kinder zum Thema, richtet sich aber an Erwachsene: Eltern, Großeltern, alle, denen die Sicherheit der Generationen, die nach uns kommen, wichtig ist. Deshalb möchte ich Sie alle dazu ermutigen, von Ihrem Recht auf ein Referendum Gebrauch zu machen und Ihre Meinung zu äußern. Wenn wir an diesem Sonntag auf die vier gestellten Fragen mit „Nein“ antworten, so können wir das entschiedenste „Ja“ zur langfristigen geistigen und intellektuellen Sicherheit unserer Kinder sagen.

Aus Toleranz ist eine Meinungsdiktatur geworden

– Wie groß sind Ihrer Meinung nach angesichts der neomarxistischen Gender-Ideologie aus Nordamerika die Erfolgsaussichten einer konservativen Renaissance in Europa? Stimmen Sie der Ansicht zu, dass Ungarn die Avantgarde dieses geistigen Kreuzzugs sein wird?

– Dieser Kreuzzug ist weiter fortgeschritten, als viele denken. Instinktiv sehnen sich die Menschen nach Gedankenfreiheit, nach der Freiheit des Geistes. Sobald sie merken, dass man versucht, sie ihnen zu nehmen oder sie einzuschränken, rebellieren sie. Was lange Zeit als „allgemeiner Anstand“ galt und den Anschein von Toleranz erweckte, entpuppt sich heute als Versuch, eine Meinungsdiktatur zu errichten, die Andersdenkende und Anderslebende nicht duldet. Diejenigen, die sich selbst als tolerant bezeichnen, sind nicht in der Lage, Meinungen zu tolerieren, die von ihrer eigenen abweichen. Als Präsidentin der Republik werde ich mich bemühen – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen Ungarns – abweichende Meinungen zuzulassen, während ich gleichzeitig entschlossen unser eigenes Wertesystem bekräftige, wie es in unserer Verfassung klar und unmissverständlich festgelegt ist.

Ad-hominem-Debatten lassen mich kalt

– Péter Ungár reagierte auf Ihre Rede vor Ihrer Wahl aus den Reihen der Opposition heraus und startete sofort einen politischen Angriff auf Sie, indem er die Idee riskierte, dass sich hinter dem Wunsch, das Leben vom Moment der Empfängnis an zu schützen, die Absicht verberge, Frauen den Zugang zur Abtreibung zu erschweren. Wie haben Sie diesen Moment erlebt – genauer gesagt: die Tatsache, dass man als Reaktion auf eine Grundsatzerklärung sofort versucht hat, Sie in einen politischen Faustkampf zu verwickeln?

– Das hat mich nicht überrascht: Ich bin es gewohnt, dass sie versuchen, Spannungen zu erzeugen, selbst dort, wo es keinen Grund dafür gibt.

– Haben Sie sich darauf vorbereitet, dass der aktivere Stil der Präsidentschaft, den Sie versprechen, auch die ideologischen Gegner Ihrer Politik aktiver machen könnte? Wie wollen Sie diesen Angriffen begegnen? Werden Sie sich, wenn nötig, in die Debatte einmischen, oder ziehen Sie es vor, sich aus der Welt der politischen Scharmützel herauszuhalten?

– Ich würde meine Ziele aus den Augen verlieren, wenn ich mich mit den ad-hominem-Angriffen gegen mich beschäftigen würde. Ich möchte darauf vertrauen, dass mein aktiver Präsidentschaftsstil die Menschen guten Willens in Bewegung setzen wird. Es gibt viele Bereiche in unserem Leben, die über das Politische hinausgehen und in denen ich die Gedanken der Ungarn, ihre Gefühle, ihre Freuden und Sorgen noch besser verstehen und vertreten kann. Auf kurze Sicht bin ich ihnen Rechenschaft schuldig – und auf lange Sicht Gott.

Was die Politiker betrifft: Nicht erst als Präsidentin habe ich den Grundsatz befolgt, mich niemals auf politische Debatten ad hominem einzulassen – und daran werde ich mich auch in Zukunft halten.

Die Wahl, vor der unser Land steht, wird sein Schicksal bestimmen

– Was wären unter den Vademecums, die von den Parteien, die Sie für das Amt des Präsidenten nominiert haben, zur Verfügung gestellt wurden, die Elemente, deren Verteidigung Sie als Staatsoberhaupt besondere Aufmerksamkeit schenken möchten?

– Gott, das Vaterland und die Familie – diese Schlagworte sind auch meine Schlagworte.

– Was würden Sie sagen, um die Menschen davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, am Sonntag zur Wahl zu gehen?

– Unser ältester Sohn wird zum ersten Mal in seinem Leben wählen: Er ist achtzehn Jahre alt. Wenn ich ihn und seine Freunde beobachte, erkenne ich den Wert dieses Moments, in dem eine Demokratie uns die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu treffen, die unsere Zukunft beeinflussen können. Selbst in Friedenszeiten steht viel auf dem Spiel – aber das sind nicht die Zeiten, in denen wir gerade leben.

Wir leben inmitten von Kriegsrisiken, Pandemien, ernsthaften Bedrohungen für die Weltwirtschaft und die internationalen Beziehungen.

Deshalb werden diese Wahlen über unser Schicksal entscheiden. Und ich möchte Sie alle – einschließlich unseres eigenen Sohnes – ermutigen, nach reiflicher Überlegung, nach Berücksichtigung der tatsächlichen Leistungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, nach einem Vergleich der wählbaren Kandidaten und ohne die Interessen unserer Nation aus den Augen zu verlieren, zur Wahl zu gehen und Ihre Stimme bei den Parlamentswahlen abzugeben.

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