Viele Rechtsexperten haben die innere Vielfalt des Konzepts der Rechtsstaatlichkeit erkannt. 2012 hielt Ronald Dworkin, emeritierter Professor am University College in London, auf einer vom Europarat unter britischem Vorsitz organisierten Konferenz zum Thema Rechtsstaatlichkeit den Eröffnungsvortrag, den er mit dieser pointierten Feststellung begann: Unter den Enthusiasten der Rechtsstaatlichkeit herrscht tiefe Uneinigkeit, wenn es darum geht, zu sagen, was genau sie ist. Als Beispiel nannte er die Debatte in Großbritannien, welcher Fall der Rechtsstaatlichkeit am besten entspricht: einer, in dem die Gerichte die Anwendbarkeit von Gesetzen aussetzen und damit ihre Kontrolle bis zur Unterwerfung des Gesetzgebers ausdehnen, oder einer, in dem sich Richter, die sich keiner demokratischen Wahl unterworfen haben, nicht auf diese Weise über das Gesetz stellen dürfen. Der legendäre konservative US-Supreme-Court-Richter Antonin Scalia hat die Macht, die damit internationalen Gerichten wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte übertragen wird, als geradezu skandalös bezeichnet. Seiner Ansicht nach ist der Mechanismus, der dem Ethos der Rechtsstaatlichkeit am ehesten entspricht, derjenige, bei dem der Inhalt von Normen, die für die gesamte Gesellschaft verbindlich sind, von einem von den Bürgern gewählten Gesetzgeber festgelegt wird. Es gibt aber auch Elemente, die unbestreitbar zum Konzept der Rechtsstaatlichkeit gehören, wie etwa die Rechtssicherheit. Dennoch kann auch deren genaue Anwendung und Definition von einer Rechtsordnung zur anderen variieren.