– Sie beschäftigen sich seit dreißig Jahren mit der Geschichte der Menschen, die in den Gulag und die GUPVI-Lager deportiert wurden. Ist es nicht schmerzhaft, sich mit einem solchen Thema zu beschäftigen und ein Leben lang Zeuge dieser unzähligen menschlichen Tragödien zu sein?
– Es ist zwar etwas ganz anderes, an einem Thema zu arbeiten, dessen Auswirkungen noch spürbar sind, an einer Epoche, die in uns noch lebendig ist – wenn auch für viele nur auf der Ebene des kollektiven Unbewussten. Denn für viele von uns, für die Hälfte oder zumindest ein Drittel unseres Volkes – und ich gehöre dazu – berührt dieses Thema auch unsere persönliche Geschichte: Auch mein Großvater gehörte zu den unschuldigen, nie von einem Gericht verurteilten Deportierten, die in Budapest unter dem Vorwand der Identitätsfeststellung zusammengetrieben wurden. Er war, Gott sei Dank, einer von denen, die es geschafft haben, zurückzukehren, obwohl er bei seiner Rückkehr nur noch 38 Kilo wog, und leider kurz darauf gestorben ist, so dass ich keine Gelegenheit mehr hatte, ihn kennenzulernen. In meinen Universitätskursen und bei meinen Vorträgen in der Provinz habe ich das Gefühl, dass unsere Gesellschaft ein großes Bedürfnis hat, diesen Teil unserer Geschichte voller Leid zu klären, der lange verborgen und zum Vergessen verurteilt war.
– Sind die Tabus gewichen? Fangen die Opfer an zu reden?
– Immer mehr von ihnen wenden sich an mich oder an unseren Verein, die Internationale Gesellschaft der Gulag- und GUPVI-Forscher, mit der Bitte, ihnen bei der Nachforschung über das Schicksal eines Verwandten oder engen Freundes, der Großeltern oder Urgroßeltern, über den Ort ihres Todes oder nach anderen Informationen zu helfen, die noch über den einen oder anderen ihrer Vorfahren gefunden werden können, der unter den deportierten Zivilisten war oder in Kriegsgefangenschaft geriet. Ich habe viele, viele Danksagungen dafür erhalten, dass ich diesem Thema Bücher gewidmet habe, von denjenigen, denen diese Bücher den Eindruck vermittelten, dass endlich jemand die Geschichte ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Großeltern oder Urgroßeltern der Welt erzählt, dass das Schicksal eines geliebten Menschen, der als unschuldiger Zivilist zur Zwangsarbeit deportiert wurde, nicht im Dunkel des Vergessens versinkt. Und diese persönlichen Begegnungen sind eine große Quelle der Motivation für mich, meine Forschung fortzusetzen.