Der Auftritt der progressistischen Ideologie hat das Gleichgewicht des Medienpluralismus gestört – so Balázs Orbán, Vizeminister und politischer Direktor im Ministerpräsidentenamt, in einem Interview mit der Magyar Nemzet. Als Vorsitzender des Aufsichtsrats des Mathias Corvinus Collegiums erinnerte er uns auch daran, dass zwei Drittel der Ungarn ihren Medien ein recht hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen.
– In der vergangenen Woche veranstaltete das Mathias Corvinus Collegium eine zweitägige Medienkonferenz, auf der auch prominente Gäste aus dem Ausland sprachen. Warum hielten Sie es für angebracht, eine solche Dialogreihe zu organisieren?
– Die derzeitigen Veränderungen in der Medienwelt betreffen den gesamten Westen, und auch Ungarn ist davon nicht ausgenommen. Da wir diese Probleme gemeinsam haben, liegt es in unserem Interesse, auch die Suche nach Lösungen gemeinsam in Angriff zu nehmen.
– Es handelt sich um eine internationale Konferenz. Warum kann man sich nicht auf nationale Kompetenzen beschränken, um die Medienstrukturen in Ordnung zu bringen?
– Es klingt vielleicht wie ein Klischee, ist aber auch Realität: Die technologische Entwicklung – konkret: ab den Anfängen des Buchdrucks und dem Umfeld Gutenbergs – hat zwar neue Plattformen geschaffen, aber nichts an der Monopolstellung der Medien im Bereich der Information geändert. Bereits im 19. Jahrhundert erfuhren politisch interessierte Menschen aus der Feder von Journalisten, was im Parlament vor sich ging; später informierte sie das Radio, dann das Fernsehen – immer mit der Vermittlung der Presse. Kurzum: Die Medien hatten schon immer eine herausragende Rolle bei der Information der Bürger – und damit auch eine große Verantwortung: die Verantwortung, sich an die Objektivität halten zu müssen. Das hat sich jedoch mit der Verbreitung des Internets und vor allem der sozialen Netzwerke geändert: Das Monopol ist weggefallen, sodass und heute kann jeder ein Nachrichten- oder Inhaltsproduzent werden. Bei den traditionellen Medien hingegen ist ein Rückgang zu verzeichnen.
– Es sieht jedoch so aus, als ob die Akteure der alten Presse größtenteils auch heute noch präsent sind.
– Das ist richtig. Titel, die vor einigen Jahrzehnten noch Symbole für glaubwürdige Informationen darstellten – von der New York Times bis zur BBC –, sind allerdings inzwischen ganz deutlich in den Dienst einer progressistischen politischen Agenda getreten.
– In welchem Verhältnis steht die progressistische Ideologie zum Medienwandel?
– Auf die oben genannten Herausforderungen haben progressistische Kreise mit der Idee reagiert, dass die Medien um jeden Preis zu politischen Lautsprechern der progressiven linksliberalen Vorstellungen werden müssen, weil sie nur so ihre Einflussmöglichkeiten behalten und diese Medien nur so ihr Geschäftsmodell am Laufen halten können. Dies hat die Logik des Informationspluralismus völlig umgekehrt: Früher war das zentrale Prinzip der liberalen Medien die sakrosankte Objektivität der Nachrichten, die um jeden Preis von der Meinung unterschieden werden musste; das Wichtigste war die Glaubwürdigkeit der Informationen; heute ist das zentrale Prinzip die Verteidigung der Agenda der liberalen progressistischen Ideologie. Westliche Konservative beklagen sich praktisch alle, vom ersten bis zum letzten, darüber, dass ihre Ansichten fast vollständig aus den Mainstream-Medien verbannt wurden. Umso wichtiger ist die Aufgabe der konservativen Presse, dieses entstehende Ungleichgewicht auszugleichen und dafür zu sorgen, dass auch vom Mainstream abweichende Meinungen zu Wort kommen können. Wir müssen den Fehdehandschuh aufheben, andernfalls bewegen wir uns auf eine „sanfte Orwellsche“ Welt zu.
– Was kann der Staat in dieser Situation tun?
– Er hat eine doppelte Aufgabe: Zum einen muss er die Meinungsfreiheit schützen, denn es ist nicht hinnehmbar, dass Äußerungen nach ideologischen Kriterien zensiert werden; zum anderen muss er auf die eine oder andere Weise gegen diejenigen Meinungen vorgehen, die gegen das Recht verstoßen. Das sind Aufgaben, die man nicht an Medienplattformen auslagern kann – der Staat muss sich an der Sicherung des öffentlichen Raums beteiligen und das Recht durchsetzen. Das ist eigentlich die Position des gesamten Westens – mit Ausnahme derjenigen, die ein Interesse daran haben, die derzeitige Unruhe aufrechtzuerhalten.
– Ist dies auch der Trend, der in Ungarn zu beobachten ist?
– In unseren mitteleuropäischen Ländern ist die Lage weniger ernst als im Westen, was in erster Linie auf die historischen Erfahrungen der einzelnen Länder zurückzuführen ist. Verfügbaren Studien zufolge konsumieren 95% der erwachsenen Ungarn – also fast acht Millionen Menschen – regelmäßig Medieninhalten. Und mehr noch: Von diesen acht Millionen beziehen sechs Millionen ihre Informationen aus mehr als einer Quelle. Das bedeutet, dass es eine Mehrheit von Ungarn gibt, die – unter Beibehaltung der unter dem Kommunismus geprägten Reflexe – die Informationsflut der Medien mit Vorsicht genießen, sich für alle Meinungen interessieren und sich erst im Nachhinein für diejenige entscheiden, die sie für die glaubwürdigste halten. In Westeuropa hingegen bilden sich Blasen, die gegeneinander abgeschottet sind. Laut europäischen Daten haben 63% der Ungarn großes oder mittleres Vertrauen in die Medien, was über dem EU-Durchschnitt liegt, während beispielsweise in Deutschland oder Dänemark die entsprechenden Gruppen einen weitaus geringeren Anteil der Bevölkerung ausmachen.
– Wie können rechte Intellektuelle in diese Arena hinabsteigen?
– Es muss sichergestellt werden, dass die Stimmen von rechts genügend Gewicht haben, um ebenfalls an das Ohr der Ungarn zu gelangen, sodass diese beide Seiten hören können. Angesichts der Tatsache, dass diese Regierung ihre Politik auf die von den Menschen geäußerten Meinungen stützt, können wir nur hoffen, dass die ungarischen Bürger uns erneut die Ehre erweisen und uns ihr Vertrauen schenken.
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Weltweit bekannte Gäste
Am Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche veranstaltete das Mathias Corvinus Collegium eine zweitägige internationale Konferenz mit dem Titel Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter, auf der renommierte Redner aus verschiedenen Ländern die Rolle der Presse in der heutigen Gesellschaft, die Macht der sozialen Netzwerke und die langfristigen Auswirkungen der Cancel Culture untersuchten. Aus dem Ausland kamen Redner wie Birgit Kelle, Journalistin bei Die Welt; Gladden Pappin und Julius Krein, Mitbegründer von American Affairs; Matyas Zrno, leitender Redakteur der internationalen Abteilung von CNN Prima News, und Ralf Schuler, Chefreporter des Berliner Parlamentsbüros der Bild-Zeitung, die über ihre Erfahrungen berichteten.
Foto: Árpád Kurucz