Zemmour: „Wir leben in der Zeit des Zivilisationskampfes zwischen Islam und Christentum“

„Die Vereinigten Staaten von Europa sind die Fata Morgana jener Europa-Besessenen, die souveräne Nationen zerstören, ohne sie wenigstens durch europäische Souveränität zu ersetzen“ – so Éric Zemmour, der zum IV. Demographie-Gipfel nach Budapest kam, in einem Interview mit der Magyar Nemzet. Mehr als sechs Monate vor den französischen Präsidentschaftswahlen werden diesem einwanderungsfeindlichen Publizisten 11% der Wahlabsichten zugeschrieben – sprich Millionen von Franzosen würden für ihn stimmen, wenn die Wahl heute stattfinden würde. In diesem vom ungarischen Journalisten László Szőcs geführten Interview hat Zemmour allerdings seine Kandidatur noch nicht offiziell angekündigt.

László Szőcs
2021. 09. 30. 14:14
HUNGARY-POLITICS-DEMOGRAPHY-SUMMIT Fotó: ATTILA KISBENEDEK
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László Szőcs: Auf dem IV. Demographie-Gipfel in Budapest sagten Sie, dass sich die Ungarn der Gefahr, die ihnen droht, sehr wohl bewusst sind. Was haben Sie damit gemeint?

Éric Zemmour: Das bedeutet, dass die Ungarn eine doppelte politische Erfahrung haben. Die eine ist die der islamisch-osmanischen Besatzung, die andere die der sowjetischen Herrschaft, die die Unterwerfung unter ein totalitäres System bedeutete. Aufgrund dieser doppelten Erfahrung haben die Ungarn einen scharfen Blick für die Gefahren, die vor ihnen liegen: sowohl für die islamische Invasion als auch für die fortschrittliche Ideologie, die ein totalitäres System ist – auch wenn es ein Totalitarismus ohne Gulag ist. Unter der Führung von Viktor Orbán wehren sich die Ungarn gegen beides, und ich denke, dass dies kein Zufall ist. Die Menschen sind durch ihre Geschichte geprägt, und die Art und Weise, wie sie reagieren, ist ebenfalls von ihrer Geschichte geprägt. Der französische Intellektuelle René Girard hat in einem seiner letzten Bücher, Clausewitz zu Ende denken, geschrieben, dass wir in eine Zeit eintreten werden, in der wir Karl Martell und den Kreuzrittern näher stehen als der Französischen Revolution und den Folgen der Industrialisierung im französischen Zweiten Kaiserreich. Und heute leben wir in der Tat in derm Zeit des Zivilisationskampfes zwischen Islam und Christentum, zwischen Ost und West. Es ist ein Kampf, der nie beendet wurde. Und eines der grundlegenden Elemente ist die Demographie.

László Szőcs: In welchem Ausmaß?

Éric Zemmour: In einem solchen Maße, dass der Westen – ein Begriff, der seit dem Fall der Berliner Mauer auch Sie einschließt – unter der Herrschaft eines anderen Phänomens lebt, nämlich der Dekonstruktion. Seit den 1960er Jahren haben unsere Intellektualität, unsere Eliten und – nach amerikanischem Vorbild – unsere Universitäten diesen Komplex aufgegriffen, dem Allan Bloom schon früher so bewundernswerte Seiten gewidmet hat: die Mentalität der Dekonstruktion, der Selbstverleugnung. Uns wurde der Gedanke eingeimpft, dass wir schuldig sind. Wir sind schuldig an der Sklaverei, am Zweiten Weltkrieg, an der Vernichtung der Juden, an der Kolonisierung, an der Unterdrückung von Frauen, Kindern, Schwarzen und Muslimen. Schuldig an allem. Und um all diese Fehler auszugleichen, sind wir zu allem fähig, auch zur Vernichtung unserer eigenen Zivilisation. Die Länder Osteuropas sind jedoch davon ausgenommen, denn sie sind Opfer: Sie waren Opfer des Kommunismus und der Sowjetunion, die – bemerkenswertes Paradoxon der Geschichte! – sie heute mit einer Panzerung umgibt, die sie von diesem Zwang zur Exkulpation befreit. Die Geschichte vollführt manchmal seltsame Pirouetten dieser Art, die ebenso kurios wie tragisch sind. Aber was dekonstruiert diese Dekonstruktion, von der wir sprechen? Zuerst die Nation, dann die Familie, dann die väterliche Liebe und schließlich die Menschheit selbst und die biologischen Geschlechter. Vor sieben Jahren habe ich darüber in meinem Buch Le Suicide français (der französische Selbstmord) geschrieben: Auf die Dekonstruktion folgt erst der Spott, dann die Vernichtung. Die Vernichtung der Nation, der Familie und des Individuums findet auch im Islam einen Verbündeten, der unter Ausnutzung unserer Schwäche versucht, uns seine eigenen Normen aufzuzwingen. Was sagt uns zum Beispiel der Schleier der muslimischen Frauen? Dass unsere Straßen islamisiert werden und dass der öffentliche Raum ihnen gehört.

László Szőcs: In Budapest wurden Sie u. a. von Regierungschef Viktor Orbán empfangen. Worüber haben Sie gesprochen?

Éric Zemmour: Über diese gleichen Themen. Und ich glaube, dass er sie perfekt versteht: dass er den Zivilisationskampf des Westens gegen den Osten, des Nordens gegen den Süden perfekt versteht. Er schützt sein Volk, er hat die Mauer an der Grenze gebaut, und er schafft auch ein Bollwerk gegen die Dekonstruktion, gegen George Soros und gegen die LGBTQ-Lobby. Er kämpft an jeder der beiden Fronten, auf die es heute ankommt. Ich habe auch viel von den Erfahrungen gelernt, die er mit mir geteilt hat.

László Szőcs: Die ungarische Führung legt eindeutig Wert auf ihre Beziehungen zur französischen Rechten. Zu den Gästen des Gipfels gehörte Marion Maréchal, ehemalige Abgeordnete und Enkelin von Jean-Marie Le Pen.

Éric Zemmour: Ja, aber die derzeitige französische Rechte ist nicht rechts – zumindest nicht, wenn es um die Anführer der Republikaner (LR) geht. Die französische Rechte hat sich der Linken unterworfen und kann bestenfalls noch als Mitte bezeichnet werden. Sie könnten sich genauso gut hinter Emmanuel Macron stellen, da sie die gleichen Ideen wie unser Präsident haben.

László Szőcs: Sie fliegen jetzt zurück nach Frankreich. Werden Sie endlich Ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen dort bekannt geben?

Éric Zemmour: Schauen wir mal.

László Szőcs: Nach Ihrem jüngsten Buch und Ihren Auftritten in den Medien zu urteilen, bereiten Sie jedoch offensichtlich etwas vor.

Éric Zemmour: Diese Vorbereitung gibt mir die Möglichkeit, den Franzosen meine Meinung mitzuteilen. Obwohl ich nicht offiziell kandidiere, bin ich der einzige, dessen Popularität zunimmt. Alle anderen stagnieren oder sinken. Innerhalb von sechs Monaten ist die Beliebtheit von Marine Le Pen um zehn Punkte von 28 % auf 18 % gesunken. Unter den Konkurrenten Macrons liegt Xavier Bertrand bei 14-15%, Valérie Pécresse stagniert, sie werden von keinem Schwung getragen. Ich allein schon. Natürlich läuft auch für mich die Zeit ab und setzt mich unter Druck, so dass ich meine Entscheidung bald bekannt geben werde.

László Szőcs: Sie haben nun 11% Popularität erreicht. Haben Sie das Gefühl, dass Sie sogar gewinnen könnten?

Éric Zemmour: In der Politik geht es nicht um Arithmetik, sondern um Dynamik. Ich habe mit drei Prozent angefangen, bin dann auf fünf, sieben, acht, zehn und schließlich auf elf gestiegen. Und das geht ziemlich rasch. Wir werden sehen.

László Szőcs: Sie haben kürzlich mit Jean-Luc Mélenchon, dem Anführer der radikalen Linken, debattiert. Was würden Sie Macron sagen, wenn Sie ihm in einer Debatte gegenüberstünden, etwa am Vorabend der zweiten Runde der Wahlen im nächsten Frühjahr? Was hat der Präsident Ihrer Meinung nach falsch gemacht?

Éric Zemmour: Ich glaube, er versteht nicht, wie groß die Herausforderung ist, die die Existenz unseres Landes bedroht. Er mag jung sein, aber in seinem Kopf ist er alt. Es ist, als ob er in den 1970er Jahren leben würde, als Zeitgenosse von Valéry Giscard d’Estaing und Michel Rocard. Er ist der Meinung, dass die Wirtschaft auch heute noch die Haupttrennlinie darstellt. Aber es geht um Zivilisation, Identität und das Schicksal der Nation. Er versteht nicht, was René Girard gesagt hat. Alles, was ihn interessiert, ist die Frage, wie zwei Prozent des BIP nach rechts oder links verteilt werden können. Ich sage nicht, dass es keine Rolle spielen würde, aber auf der anderen Seite der Skala steht der Niedergang und das Verschwinden von Frankreich. Und das ist schließlich nicht dasselbe – denn es geht um Leben und Tod.

László Szőcs: Ich habe gerade gesehen, dass Sie sehr herzliche Beziehungen zu Marion Maréchal pflegen. Kann man das auch von ihrer Tante, Marine Le Pen, sagen, die Ihre Rivalin auf der rechten Seite ist?

Éric Zemmour: Ich mag Marion sehr. Zu ihrer Tante habe ich kein so enges Verhältnis.

László Szőcs: Was ist der größte politische Unterschied zwischen Ihnen?

Éric Zemmour: Le Pen hat sich dafür entschieden, ihre Politik in die Mitte zu verlagern, was meiner Meinung nach sowohl ein taktischer als auch ein strategischer Fehler ist. Dagegen stimmen 70 % der Franzosen dem zu, was ich über den Islam sage.

László Szőcs: Noch heute sprechen viele Menschen über die Fernsehdebatte von 2017, bei der sich Marine Le Pen gegen Marcon blamierte. Sie hingegen, als Publizist, leben von der Debatte. Glauben Sie, dass Sie besser debattieren können?

Éric Zemmour: Das ist das andere Problem mit ihr: die Tatsache, dass sie in dieser Debatte ihre eigenen Wähler gedemütigt hat. Was mich betrifft, so debattiere ich gerne, nicht um des Debattierens willen, sondern um meine Ansichten zu verteidigen.

László Szőcs: Und Sie würden Macron besiegen?

Éric Zemmour: Alles ist möglich.

László Szőcs: Worum geht es bei den französischen Präsidentschaftswahlen aus der Sicht einer gespaltenen Europäischen Union, die sich in einer Wertekrise befindet?

Éric Zemmour: Ich habe mit Viktor Orbán darüber gesprochen, und wir sind uns völlig einig. Die Europäische Kommission muss gezwungen werden, sich wieder auf ihre ursprünglichen Aufgaben zu besinnen, nämlich die Verwaltung des Gemeinsamen Marktes. Gleichzeitig muss sie damit aufhören, den Mitgliedstaaten die Ansichten einer vom Fortschrittsgedanken besessenen Minderheit aufzwingen zu wollen, die bei allem mitreden will – und dies mit der Komplizenschaft der Großen, also Deutschlands und Frankreichs. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, die unsere Eliten und auch Macron vertreten, dass die Vereinigten Staaten von Europa unsere Zukunft seien. Wir sind weder Texas noch Wyoming. All dies ist die Fata Morgana, die von den Europa-Besessenen verfolgt wird, die souveräne Nationen zerstören, ohne sie wenigstens durch eine europäische Souveränität zu ersetzen. Es ist ein Mythos, eine Utopie. Die Deutschen und die Polen zum Beispiel wollen keine autonome Verteidigungspolitik in Europa und werden immer hinter den Vereinigten Staaten zurückbleiben. Macron wird es da nicht schaffen, wo sich selbst Charles de Gaulle die Zähne ausgebissen hat. Kurz gesagt: Der gemeinsame Markt muss der Europäischen Kommission überlassen werden, alles andere – insbesondere die Vorrechte in der Migrationspolitik und bei der Grenzkontrolle – den souveränen Nationen, den Völkern.

László Szőcs: Dies ist jedoch ohne das Eingreifen der großen Mitgliedsstaaten nicht möglich…

Éric Zemmour: Ganz genau. Es liegt an ihnen, die Europäische Kommission zu dieser Änderung zu zwingen. Wie Jacques Chirac sagte: Brüssel allein ist nicht einmal in der Lage, eine Kriegserklärung abzugeben. Auch Stalin hätte einmal gefragt: Wie viele Divisionen hat der Papst?

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