László Szőcs: Auf dem IV. Demographie-Gipfel in Budapest sagten Sie, dass sich die Ungarn der Gefahr, die ihnen droht, sehr wohl bewusst sind. Was haben Sie damit gemeint?
Éric Zemmour: Das bedeutet, dass die Ungarn eine doppelte politische Erfahrung haben. Die eine ist die der islamisch-osmanischen Besatzung, die andere die der sowjetischen Herrschaft, die die Unterwerfung unter ein totalitäres System bedeutete. Aufgrund dieser doppelten Erfahrung haben die Ungarn einen scharfen Blick für die Gefahren, die vor ihnen liegen: sowohl für die islamische Invasion als auch für die fortschrittliche Ideologie, die ein totalitäres System ist – auch wenn es ein Totalitarismus ohne Gulag ist. Unter der Führung von Viktor Orbán wehren sich die Ungarn gegen beides, und ich denke, dass dies kein Zufall ist. Die Menschen sind durch ihre Geschichte geprägt, und die Art und Weise, wie sie reagieren, ist ebenfalls von ihrer Geschichte geprägt. Der französische Intellektuelle René Girard hat in einem seiner letzten Bücher, Clausewitz zu Ende denken, geschrieben, dass wir in eine Zeit eintreten werden, in der wir Karl Martell und den Kreuzrittern näher stehen als der Französischen Revolution und den Folgen der Industrialisierung im französischen Zweiten Kaiserreich. Und heute leben wir in der Tat in derm Zeit des Zivilisationskampfes zwischen Islam und Christentum, zwischen Ost und West. Es ist ein Kampf, der nie beendet wurde. Und eines der grundlegenden Elemente ist die Demographie.
László Szőcs: In welchem Ausmaß?
Éric Zemmour: In einem solchen Maße, dass der Westen – ein Begriff, der seit dem Fall der Berliner Mauer auch Sie einschließt – unter der Herrschaft eines anderen Phänomens lebt, nämlich der Dekonstruktion. Seit den 1960er Jahren haben unsere Intellektualität, unsere Eliten und – nach amerikanischem Vorbild – unsere Universitäten diesen Komplex aufgegriffen, dem Allan Bloom schon früher so bewundernswerte Seiten gewidmet hat: die Mentalität der Dekonstruktion, der Selbstverleugnung. Uns wurde der Gedanke eingeimpft, dass wir schuldig sind. Wir sind schuldig an der Sklaverei, am Zweiten Weltkrieg, an der Vernichtung der Juden, an der Kolonisierung, an der Unterdrückung von Frauen, Kindern, Schwarzen und Muslimen. Schuldig an allem. Und um all diese Fehler auszugleichen, sind wir zu allem fähig, auch zur Vernichtung unserer eigenen Zivilisation. Die Länder Osteuropas sind jedoch davon ausgenommen, denn sie sind Opfer: Sie waren Opfer des Kommunismus und der Sowjetunion, die – bemerkenswertes Paradoxon der Geschichte! – sie heute mit einer Panzerung umgibt, die sie von diesem Zwang zur Exkulpation befreit. Die Geschichte vollführt manchmal seltsame Pirouetten dieser Art, die ebenso kurios wie tragisch sind. Aber was dekonstruiert diese Dekonstruktion, von der wir sprechen? Zuerst die Nation, dann die Familie, dann die väterliche Liebe und schließlich die Menschheit selbst und die biologischen Geschlechter. Vor sieben Jahren habe ich darüber in meinem Buch Le Suicide français (der französische Selbstmord) geschrieben: Auf die Dekonstruktion folgt erst der Spott, dann die Vernichtung. Die Vernichtung der Nation, der Familie und des Individuums findet auch im Islam einen Verbündeten, der unter Ausnutzung unserer Schwäche versucht, uns seine eigenen Normen aufzuzwingen. Was sagt uns zum Beispiel der Schleier der muslimischen Frauen? Dass unsere Straßen islamisiert werden und dass der öffentliche Raum ihnen gehört.