– Auf seinem letzten Gipfeltreffen beschloss der Türkische Rat, sich in Organisation der Turkstaaten umzubenennen, und begründete dies mit seinem Wunsch, eine stärkere Rolle in der internationalen Gemeinschaft zu spielen. Welche Maßnahmen wird dies in der Praxis bedeuten?
– Die Umbenennung bedeutet im Wesentlichen, dass die Organisation der Turkstaaten (OTS), die derzeit eine 2009 initiierte zwischenstaatliche Zusammenarbeit zwischen Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und der Türkei darstellt, in Zukunft ein größeres Gewicht in der internationalen Politik haben möchte. Aus diesem Grund verabschiedete sie auf ihrem letzten Gipfeltreffen in Istanbul einen strategischen Plan, der sich bis 2040 erstreckt. Die von den fünf OTS-Staaten bewohnte Region ist ein idiosynkratisches Netzwerk, das eine Bevölkerung von fast 160 Millionen Menschen und die Wirtschaft dieser Bevölkerung zwischen Europa und Asien verbindet, aber auch eine Einheit, die durch ein immer deutlicheres System geostrategischer und geopolitischer Interessen, die sich aus ihrer eigenen Situation ableiten, zusammengeschweißt wird. Der Wille, diese Einheit innerhalb der globalen Verflechtungssysteme anzunehmen, spiegelt nicht nur den gegenwärtigen Alltag dieser riesigen Region, die sich vom Bosporus bis zum Altai erstreckt, wider, sondern auch ihre Zukunft. Da Ungarn seit 2018 ein Beobachterstaat dieser Organisation ist, betrifft diese Namensänderung auch uns, und wir haben sie freilich gebilligt.
– Aus geografischer Sicht ist Ungarn wirklich weit von den Turkstaaten entfernt. Inwiefern kann es von diesem Beobachterstatus profitieren?
– Am Anfang des 21. Jahrhunderts haben geografische Entfernungen nicht mehr die gleiche Bedeutung wie vor hundert oder zweihundert Jahren. Istanbul ist nicht weiter von Budapest entfernt als Brüssel. Und die Region um das Kaspische Meer ist von uns genauso weit entfernt wie beispielsweise Marokko oder Ägypten. Ungarn ist wirtschaftlich stark mit der Türkei verbunden und in den letzten Jahren hat unser Handel mit allen OTS-Mitgliedsstaaten zugenommen. Es ist eine Region, in der die Summe unserer Exporte die unserer Importe übersteigt: Der Überschuss liegt bei etwa 1,5 Milliarden US-Dollar. Aber es gibt noch mehr: Ungarischen Fachkräften und ihren Unternehmen eröffnen sich in Zentralasien neue Möglichkeiten – Möglichkeiten, zur Erneuerung der Innovationsfähigkeit der Gesellschaften und Volkswirtschaften in dieser Region beizutragen. Und die Hunderte von Studenten, die sich derzeit in Ungarn aufhalten, werden diesen Beitrag bald mit einem lokalen Hinterland sui generis ausstatten. Eigentlich wurde die türkische Welt ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Namen Ungarn [magyar, was auf Ungarisch und in den Turksprachen „ungarisch“ bedeutet – AdÜ.] aufmerksam, als sie begann, Asien – von Istanbul bis zu den Turkvölkern Sibiriens – auf der Suche nach Brudervölkern zu durchforsten, so wie wir selbst schon früher damit begonnen hatten. Schon damals kamen mehrere dieser Forscher zum Studium nach Budapest und wurden zu großen Gelehrten – zum Beispiel Bekir Çobanzade oder Hamit Zübeyr Koşay.