Der schlimmste Feind der Rechtsstaatlichkeit ist die in Brüssel praktizierte Doppelmoral

József Szájer, Leiter der Fidesz-KDNP-Delegation im Europaparlament, zeigt unter anderem, wie die Tätigkeit des Europaparlaments in Bezug auf den Pandemiezustand frontal mit den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit kollidiert.

Szájer József
2020. 11. 20. 10:00
Az állam-és kormányfők zöld jelzését is várja az átdolgozott csomag és annak feltételrendszere Fotó: Kenzo Tribouillard Forrás: MTI/EPA
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Rechtsstaatlichkeit ist die Situation, in der das Gesetz über die Menschen herrscht, d. h. das Prinzip, dass Regeln eingehalten werden müssen und dass die Anwendung des Gesetzes nicht von Person zu Person variieren darf. Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass nicht Menschen über andere Menschen herrschen, sondern dass der Herr das Gesetz ist, das – anders als der oft befangene Einzelne – alles mit einem fairen, gerechten und unparteiischen Maßstab misst.

Die Demokratie und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, die stets den Willen der Mehrheit respektieren, sofern sie sich im Gleichgewicht befinden, sind gemeinsam in der Lage, die Harmonie zwischen dem gesellschaftlichen Willen und den Rechten der Bürger und Minderheiten und damit den sozialen Frieden zu gewährleisten. Aber wenn dieses Gleichgewicht entweder auf der einen oder der anderen Seite gestört wird, kann das leicht den modernen demokratischen Staat gefährden. Eine Gesetzgebungspraxis, die die Rechte des Einzelnen und bestimmter Gemeinschaften ignoriert, wird wahrscheinlich erhebliche soziale Unzufriedenheit und Konflikte hervorrufen, während eine übermäßige Anwendung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit den Handlungsspielraum der Regierungen untergräbt und das Vertrauen der Menschen in ihre demokratischen Institutionen ruiniert. Wir Ungarn sind mit beiden Situationen vertraut und haben exemplarische Fälle davon erlebt.

Angst vor Nationalismus und willkürlichen Mehrheiten

Seit dem Fall des Kommunismus hat die Frage der Rechtsstaatlichkeit nie aufgehört, auf der Tagesordnung zu stehen. Für unsere Gesellschaften, die gerade ihre Freiheiten, ihren Pluralismus und ihre freien Wahlen wiedererlangt hatten, war die Demokratie, die Entscheidung durch die Mehrheit in den Jahren 1989-1990 ein überragender und unmissverständlicher Wert. Diejenigen, die vom Westen aus diesen Prozess von Anfang an förderten und beeinflussten, bestanden darauf, dass das Mehrheitsprinzip der Demokratie durch ein System von Institutionen abgemildert werden sollte, das den „Nationalismus“ und die Gefahr einer zur Willkür verleitenden Mehrheitsherrschaft in Schach halten würde: dass die Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Grundrechte ein integraler und aktiver Bestandteil der Verfassungsordnung dieser Länder sein sollten.

Genau aus dieser Zeit stammt jedoch eine andere grundlegende Tendenz im Westen: Die Verfassungsgerichte, die zunächst im Geiste Hans Kelsens allein zum Zwecke der hierarchischen Organisation des Staates geschaffen wurden, sind zunehmend über diese Funktion hinausgegangen und haben sich selbst materielle Kompetenzen und eine Mission zum Schutz der Grundrechte zugewiesen. Als Folge dieser erzwungenen Vervielfachung von Verfahren, die formal gerichtlich oder gleichgestellt sind, aber de facto negative Rechtsetzungsakte darstellen, bestand die Gefahr einer Störung des Gleichgewichts der Gewalten und einer Verschlechterung des Prinzips der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten, insofern als sich diese Organe immer weiter in ein Gebiet vorwagten, das bis dahin das der demokratisch legitimierten Rechtsetzungsakte war, die grundsätzlich auf der Entscheidung der Mehrheit beruhten. Es war die Zeit der Vervielfachung der Institutionen zum Schutz der Grundrechte – Ombudsleute, internationale Gerichte und andere, deren Einfluss ungeahnte Ausmaße annahm – und ihres Eingriffs in die Vorrechte der nationalstaatlichen Organe durch schwache Regelungen und argumentative Verfahren, die unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht ungefährlich waren.

Einige sahen in den Ländern, die gerade ihre Freiheit wiedererlangt hatten, ein besonders geeignetes Terrain für die Erprobung solcher Konstruktionen: Beispiele dafür sind in Ungarn die Einrichtung von vier verschiedenen Ombudsleuten, die erzwungene Schaffung von autonomen, endogamen Justizsystemen unter Missachtung des Prinzips der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten, die Schaffung von speziellen Staatsanwaltschaften wie in Rumänien, die beispiellose Allmacht, die in Ungarn oder Polen den Verfassungsgerichten zugestanden wurde, oder die Unabhängigkeit der Zentralbanken mit ihren übermäßigen rechtlichen Garantien, die oft unvernünftig sind und ihre rationale Zusammenarbeit mit der Exekutive eher erschweren als erleichtern.

Eckpfeiler der europäischen Demokratie

Einige dieser „rechtsstaatlichen“ Institutionen sind bezeichnende Beispiele für einen eklektischen Rechtspessimismus, der unter Missachtung der historischen Wurzeln praktiziert wird, für eine Überinterpretation rechtsstaatlicher Ideen und für eine bewusste Schwächung der exekutiven und legislativen Befugnisse. Sie sind auch eine gute Illustration von konzeptioneller Verwirrung, intellektueller Faulheit, kolonialer Mentalität und Regierung unter Druck. Sie offenbaren ideologisches, halbdoktrinäres und politisch beeinflusstes Verhalten, Verachtung für die demokratische Macht der Mehrheit und manchmal auch die panische Angst, die bestimmte Eliten und politische Gruppen ergreift, die gegenüber der Macht des Demos an Boden verlieren.

Die Überlegungen zur Rechtsstaatlichkeit müssen einheitlich auf alle Institutionen angewandt werden. Kein mit Macht dotierte Institution kann sich ihnen entziehen. Auf diese Weise wurden (unter anderem) die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte, die die Bürger vor willkürlicher Gesetzgebung, auch auf der Ebene der Unionsorgane, schützen, in das Gemeinschaftsrecht aufgenommen: Das ist das Ziel der Charta der Grundrechte. Da die Europäische Union kein Staat ist, sondern eine Körperschaft, die auf der Grundlage eines besonderen Vertrages tätig ist, konnte sie den Anforderungen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit bisher nicht in vollem Umfang gerecht werden, und – soweit ihr bestimmte Voraussetzungen fehlen – wird sie diese aus gewisser Sicht auch nie in vollem Umfang erfüllen können. Von allen Elementen der demokratischen Legitimation der Europäischen Union bleibt das wichtigste und stärkste Element, der Eckpfeiler der europäischen Demokratie, ihre letzte Garantie, die freie Wahl der gesetzgebenden Versammlungen der Mitgliedstaaten durch Mehrheitswahl. Nach mehreren Jahrzehnten des Bestehens ist das Europaparlament als pseudorepräsentative Institution nach wie vor nicht in der Lage, das Demokratiedefizit sui generis der Europäischen Union, die Schwäche ihrer internen demokratischen Legitimation, wirksam auszugleichen.

In der Zwischenzeit haben sich die zentralen Institutionen der Europäischen Union sogar aktiv dagegen gewehrt, dass die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit im Rahmen ihrer Tätigkeit kontrolliert werden muss. Während sie selbst in den letzten Jahren solche Kritik an den Mitgliedsstaaten geübt haben, haben sie sukzessive die geringsten Versuche, ihnen eine externe Kontrolle aufzuerlegen, neutralisiert. Unter Missachtung der Garantien und unter aggressiver Überschreitung der ihnen durch das Subsidiaritätsprinzip auferlegten Grenzen haben sie alle Systeme, die darauf abzielen, das Demokratiedefizit der Union zu verringern, so behandelt und sich ihnen angepasst, dass sie ihre Macht in keiner Weise gefährden können. Der Versuch, mit dem Vertrag von Lissabon den nationalen Parlamenten das Recht zu geben, in die Gesetzgebungstätigkeit der Union einzugreifen, ist spektakulär gescheitert. Nicht weniger die Europäische Bürgerinitiative, die an die Bedingung geknüpft ist, eine Million Unterschriften zu sammeln. In den letzten zehn Jahren, in denen diese Regeln in Kraft waren, haben sie nicht kein einziges Beispiel für Erfolg gebracht. Als sie mit Initiativen zum Ausgleich ihrer Macht konfrontiert wurden, die ihnen nicht gefielen, wiesen die Institutionen der Europäischen Union diese einfach von sich.

Sargentini-Bericht ohne Rechtsgrundlage

Deshalb müssen wir es wagen zu sagen: Die Europäische Union steht im Widerspruch zur Achtung der Rechtsstaatlichkeit und zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Das Europaparlament (EP) bastelt an seinen Regeln für die Stimmenauszählung wie seinen aktuellen Interessen gerade passt, auf Kosten einer subversiven Auslegung der Verträge, kraft interner Dienstanweisungen von vernachlässigbarem juristischen Rang: Das haben wir im Fall des Sargentini-Berichts erlebt, oder als einem polnischen Abgeordneten, der in der herrschenden Fraktion der Europäischen Union verpönt war, ein Sitz als Vizepräsident des Parlaments verweigert wurde. Das Europaparlament ging so weit, den Sargentini-Bericht über Ungarn zu billigen, während es selbst öffentlich einräumte, dass ihm nach dem Gemeinschaftsrecht die Rechtsgrundlage für eine Stellungnahme zu vielen Punkten des Berichts fehlte.

Das jüngste, nicht minder schockierende Beispiel ist, dass die Präsidentschaft des Europaparlaments unter dem Vorwand der durch den Covid-19 verursachten Krise ein System der elektronischen Fernabstimmung eingerichtet hat, das gegen die Geschäftsordnung verstößt, die ausdrücklich die Anwesenheit von Europaabgeordneten als Standardbetriebsregel vorsieht. Dieser schwerwiegende Rechtsbruch macht die Gültigkeit jeder Stimmabgabe im Europaparlament ab März 2020 fraglich. Nur eine absolute Mehrheit der Abgeordneten ist berechtigt, die Geschäftsordnung des Parlaments zu ändern oder zu ergänzen, wobei ein Teil dieser Versammlung, aber auch der Vorsitz, ausgeschlossen ist. Außerdem ignoriert das Europaparlament souverän Gerichtsentscheidungen, die es verpflichten, mindestens zwölf Plenarsitzungen pro Jahr in Straßburg abzuhalten.

Die Kommission verhält sich auch nicht besser. Zu Zeiten der Juncker-Kommission hat man bei der Ernennung des neuen Generalsekretärs der Kommission – auch wenn die Bezeichnung „Putsch“ für diese machiavellistische Operation angemessener wäre – eine „kreative“ Auslegung der Regeln vorgenommen, denen sie unterliegt. Als das Parlament dann einen Beschluß annahm, in der es diesen Missbrauch kritisierte, der einem seltsamen Konzept der Solidarität innerhalb der Union entsprach, blieb es bei einem schmerzlosen Schmollmund der Missbilligung, der keine Sanktionen nach sich zog und im Wesentlichen auf die Ratifizierung der vollendeten Tatsache einer Missetat hinauslief.

Europäische Institutionen sind außer Kontrolle

Die Kommission hat damit begonnen, jährliche Berichte über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zu erstellen. Ein bezeichnendes Detail ist, dass kein solcher Bericht über das Funktionieren der Institutionen der Union – sei es die Kommission, das Parlament, der Rat usw. – verfasst wird. Selbstverständlich nicht, weil gäbe es solche Probleme nicht gäbe. In Wirklichkeit wird sorgfältig verschwiegen, dass das in Artikel 2 erwähnte „Muss“-Prinzip auch für sie gilt!

Um die Wahrheit zu sagen, gilt das sogar in erster Linie für die EU-Institutionen.

Unter diesen Bedingungen ist es weniger verwunderlich, dass die zentralen Organe der Europäischen Union es vorziehen, auf die Mitgliedstaaten die Regeln der Rechtsstaatlichkeit anzuwenden, die ursprünglich für sie selbst festgelegt wurden. Was die Mechanismen zur Überwachung der Rechtsstaatlichkeit – und insbesondere die in den letzten Monaten ausführlich diskutierten Mechanismen zur Festlegung einer an die Rechtsstaatlichkeit geknüpften Konditionalität – anbelangt, so betreffen die verschiedenen Texte, Anträge und Vorschläge, die in den letzten zehn Jahren in den verschiedenen Institutionen diskutiert wurden, kaum die legislativen und exekutiven Versammlungen der Union selbst. Wenn es um ihren eigenen Betrieb geht, schenken sie der Rechtsstaatlichkeit wenig Beachtung, da das eigentliche Ziel des Hindernisparcours, der diesen Namen trägt, darin besteht, die Mitgliedstaaten auf Linie zu bringen, die Vorrechte der Union zum Nachteil der nationalen Kompetenzen auszuweiten, mit anderen Worten, kaum verhüllten politischen oder finanziellen Druck auszuüben und die Albernheiten der föderalistischen Agenda zu fördern.

Möge ihre Fassade der Fairness und der Schein der Unparteilichkeit niemanden täuschen! Es ist möglich, die institutionellen, ideologischen und parteipolitischen Egoismen genau zu identifizieren und die Partikularinteressen bestimmter Gruppen von Mitgliedsstaaten abzugrenzen, die zur Ausarbeitung des Szenarios führten, nach dem gegenwärtige und zukünftige Straf- und Disziplinierungsmaßnahmen gegen Ungarn, Polen, Rumänien und die Tschechische Republik durchgeführt werden sollen.

Es wird ausschließlich unsere Region kritisiert.

Das asymmetrische Macht- und Einflussverhältnis, das die Ost-West-Beziehungen innerhalb der Union von Anfang an geprägt hat, wird auch hier in flagranti erwischt: Ob vergangene, aktuelle oder nur noch auf dem Papier existierende Initiativen, sie alle betreffen – ohne Ausnahme – die in den 2000er Jahren beigetretenen Mitgliedstaaten. Währenddessen schlüpften westliche Fälle in ohrenbetäubendem Schweigen unter den Radar und zeugten von einer absichtlichen und beredten selektiven Blindheit: die gefälschten Ergebnisse der österreichischen Präsidentschaftswahlen – in eklatantem Widerspruch zur Rechtsstaatlichkeit –, die brutale polizeiliche Unterdrückung der Gelbwesten in Frankreich oder der tödliche Fehltritt der belgischen Polizei gegen einen slowakischen Bürger.

Es ist seit langem bekannt – und die Erfahrung hat es immer wieder bestätigt –, dass Doppelmoral der schlimmste Feind von Rechtsstaatlichkeit, Zusammenarbeit und Gleichheit ist. Sie ist ein Gift, das das Vertrauen der Mitgliedstaaten und der Bürger in die Union untergräbt.

Trauen wir uns, die Dinge beim Namen zu nennen! Wenn wir über unsere gemeinsamen europäischen Angelegenheiten diskutieren, brauchen wir vor allem Klarheit: um sorgfältig verborgene Hintergedanken und politische bzw. ideologische Schummeleien zu entlarven.

Unsere Mitgliedschaft in der Union ist für uns von entscheidender Bedeutung, aber wir wissen auch, dass wir uns der Gefahr aussetzen, dass die Interessen unserer Länder ignoriert werden, wenn wir keine klaren Pläne haben, wenn wir vor einem Engagement zurückschrecken und uns weigern, Schläge zu riskieren, weil wir nicht in der Lage sind, als wirksame Gegenmacht aufzutreten.

Wir müssen mit dieser Europäischen Union tabula rasa machen, die seit einiger Zeit die Rolle des kleinen Chefs spielt, der sanktioniert, zwingt und befiehlt – um zu dem Europa der freien Zusammenarbeit zwischen rechtlich gleichberechtigten Nationen zurückzukehren: zu diesem Konzept, das Europa schon so viel Erfolg gebracht hat.

Europa kann den Frieden, seinen Einfluss, seine Stärke und seinen außerordentlichen Wohlstand nur dann bewahren, wenn es sich auf starke europäische Nationen stützt. In den kognitiven Blasen Brüssels glauben viele Menschen, die Beziehung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten als Nullsummenspiel zu sehen: Sie glauben, dass die EU nur stark sein kann, wenn die Mitgliedstaaten schwächer werden. Die Geschichte beweist jedoch das Gegenteil: Die Europäische Union kann nur dann mächtig sein, wenn sie auf mächtigen Mitgliedstaaten aufgebaut ist. Unter dieser Voraussetzung kann es wieder zu einer Win-Win-Situation kommen. Die erste Lektion, die es dabei zu lernen gilt, ist, dass die Regeln der Rechtsstaatlichkeit auch für die Institutionen der Europäischen Union zu gelten haben. Keine Doppelmoral! Auch das Parlament darf keine Ausnahme darstellen! Artikel 2 des Vertrags bezieht sich auf die EU als Ganzes. Es ist an der Zeit, die Dinge in Ordnung zu bringen! Das Parlament sollte vor seinem eigenen Haus kehren, bevor es andere zurechtweisen will.

Der Autor ist Europaabgeordneter der Fidesz-Fraktion

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