– Viele EU-Politiker loben die humanitären Bemühungen Ungarns infolge des Konflikts in der Ukraine. Was fiel Ihnen bei der Ratssitzung auf? Ist die Änderung des Tonfalls wirklich dramatisch?
– Es stimmt, dass wir es in letzter Zeit nicht mehr gewohnt waren, gelobt zu werden. Dieses Mal begannen viele meiner Kollegen ihre Rede damit, die Hilfe der Frontländer – einschließlich Ungarns – zu loben. Unsere Bemühungen werden also von der internationalen Gemeinschaft anerkannt, und der nächste Schritt wäre, diese ideologischen Kontroversen zu unterlassen, die als Ausrede dafür dienen, dass die Transfers aus dem Aufbaufonds blockiert werden. In der aktuellen Situation ist es besonders unerträglich, dass die Kommission den Einfluss, den die Handlungen der Frontlinienländer auf diesen Krieg haben, nicht berücksichtigt.
– In einem Brief an die Präsidentin der Kommission, Ursula von der Leyen, forderte Ministerpräsident Viktor Orbán die schnellstmögliche Genehmigung des ungarischen Aufbaupakets. Hat diese Forderung bei den Europaministern der verschiedenen Regierungen ein Echo ausgelöst?
– Das Verfahren für den Ablauf des Rates ist zu starr, um solche Reaktionen zum Ausdruck zu bringen, und ich denke, dass der Brief, den Sie erwähnen, für viele meiner Kollegen noch neu war. Ganz abgesehen davon, dass wir ihn nicht an den Rat – der die Regierungen der Mitgliedstaaten vereint –, sondern an die Kommission geschickt haben. Die Hauptsache ist, dass das ungarische Aufbauprogramm so schnell wie möglich genehmigt werde. Die Kredite, die der Fonds jetzt vorsieht, werden von uns in Anspruch genommen, da der Krieg Ungarn außergewöhnlichen Belastungen aussetzt: Wir haben bereits mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aufgenommen, ihre Zahl wird noch steigen, und wir versorgen sie mit allem, was sie brauchen. Andererseits erwarten wir von der Kommission Flexibilität: Sie muss es möglich machen, die Ressourcen der Union zur Finanzierung der Aufnahme von Flüchtlingen und zur Versorgung ihrer Bedürfnisse zu nutzen. All dies bedeutet natürlich nicht, dass wir bereit wären, die Einheitlichkeit des ungarischen Aufbauprogramms zu schmälern; es ist lediglich eine außergewöhnliche Situation eingetreten, die wir berücksichtigen müssen. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Eine positive Antwort der Kommission auf unsere Anfrage hätte den Wert eines Zeichens: Die Ungarn haben schließlich nicht nur dieses Geld durch ihre Arbeit verdient; heute sind sie ein Vorbild für ganz Europa, indem sie denen helfen, die vom Unglück getroffen wurden. Ich bin davon überzeugt, dass die Kommission Von der Leyen heute auch aus moralischer Sicht an einem Scheideweg steht.